Die vier apokalyptischen Reiter
Einst hießen sie Pest, Hungersnot, Krieg und Tod. Sie verbreiteten allerorten ihren jeweils ganz besonderen, fiesen Schrecken. Den Leuten haben damals echt die Knie geschlottert, wenn einer der berittenen Ungetüme ins Städele kam, um die Leute gehörig das Fürchten zu lehren, was sie zu damaliger Zeit in ihrer Gottvergessenheit schon fast verlernt zu haben schienen.
Nun, so gut die vier Kollegen damals ihre Arbeit auch gemacht haben mögen, heute haben sie sich zur wohlverdienten Ruhe gesetzt. Selbst sie haben eingesehen, daß sie auf die Dauer dem heutigen Leistungsdruck nicht mehr gewachsen sind.
Ritter Pest hat seinen schier unermüdlichen Kampf gegen die Medizin schon fast gänzlich aufgegeben. Wohin er auch schaut: ein lebensverachtender Teufel namens Antibiotikum tritt dem armen Ritter in den Weg, daß ihm vor Frustration die Tränen in die Augen treten. Das tut weh. Wer will es dem Veteranen verdenken?
Was nun Ritter Hungersnot betrifft so kann man nur beklagen, daß ihm hierzulande Nahrungsmittelüberfluß, Schokoriegel und Volksküchenterror den Garaus gemacht haben. Der Schrecken, dessen Name Hungersnot ist, hat seine Aufenthaltsberechtigung verloren.
Auch Ritter Krieg wurde seiner bislang so fruchtbaren und dazu spannenden Arbeitsgrundlage beraubt. Durch diverse Bündnisverträge fühlte er sich am Ende nur noch geknebelt. Ein Umstand, der seinem Temperament auf das Äußerste zuwider ist. Er hat seinen Alterssitz auf dem Balkan genommen.
Ritter Tod war von jeher schon die gewiefteste der vier Gestalten und gleichzeitig der Chef. Daß er seines Schreckens verlustig gegangen ist, stört den rüstigen Reiter nicht weiter. Er hat eine andere Beschäftigung, die zudem einfach bequemer und seinem Alter gemäßer ist, gefunden. Wo er früher als der größte Schrecken erschien, da ist er jetzt als der beste und intimste Freund und Nothelfer eines jeden Menschen gegenwärtig. Nicht länger wird er gefürchtet, sondern vielmehr heiß ersehnt und bei seiner Ankunft freudig begrüßt. Er ist der Star ungezählter Kaffeekränzchen, auf denen er der Gesellschaft, insbesondere der Damenwelt, als Portier zu einer heilen oder zumindest unbeschwerlicheren Welt durch sein bizarres Possenspiel zu imponieren sich anschickt. Er bedient sich einer willigen Streitmacht von Esoterikern, die nichts Besseres zu tun haben als ihn in ihren zahlreichen und gerne gelesenen Zeitschriften als den Zugang zu Gefilden zu preisen, in denen nichts aber auch gar nichts mehr dem Diktat der so unerbittlichen Naturgesetze, unter deren Strenge man ja nur zu leiden hat, unterworfen ist, sondern alles je nach Belieben der Phantasie vonstatten gehen kann. Der Tod ist reif und weise geworden und zeigt so nun endlich seine menschliche Seite.
Die vier Schrecklichen sind heute andere und ganz anders. Es handelt sich um vier enthusiastische, jugendliche Heißsporne, wenn man sie bei ihrer Arbeit beobachtet. Sie sind optimal an diese unsere schnellebige Zeit angepaßt. Sie haben die Namen Pleite, Arbeit, Krankheit und Baron Ernst Ärger vom Sozialamt. Jeder auch nur halb bewußt lebende Mensch kann sie hierzulande spüren. Dafür bedarf es keineswegs eines besonderen Spürsinnes. Gerade der penetrante Perfektionismus der tapferen Ritter macht es dem braven Bürger schwer, sie nicht zu spüren zu bekommen. Gegenwehr ist zwecklos. Sie sind da! Sie kreisen dich ein!
Es beginnt der Ritter Pleite. Pleite zu sein ist gewissermaßen der Urzustand des Menschen wie auch des Bürgers. Die aus dem unversiegbaren Quell der Pleite sprießenden Qualen und Plagen sind Legion. Fast jeder kennt sie, und wer sie nicht kennt, der fürchtet sie um so mehr. Das erste Anzeichen ist in der Kneipe die Weigerung des Wirtes den Deckel weiter zu erhöhen. Am Geldautomaten stellt sich dann der gelinde Schrecken ein, daß es ernst ist: Das Konto ist nicht gedeckt, der Dispo überrissen. Jetzt in Deckung zu gehen ist der erste Gedanke des Heimgesuchten. Aber es gibt keine Deckung, denn es geht gleich weiter am nächsten Morgen, wenn man dann feststellt, daß nicht nur das Geld alle ist sondern auch der Kaffee, das Brot, das Bier, der Brösel. Aber der Blick in den Briefkasten zwingt zu der Einsicht, daß man sich über einen Mangel an Überfluß nicht beklagen sollte. Es gibt jede Menge Post: Rechnungen, Mahnungen nebst Drohungen des Gerichtsvollziehers. So kommt es dazu, daß in des braven Bürgers Gehirn langsam, jedoch unaufhaltsam der kranke Gedanke an Arbeit aufkeimt.
Der Gepiesackte wähnt sich nur kurze Zeit in Sicherheit. Ritter Arbeit ist ein wesentlich heimtückischerer Zeitgenosse als sein Kollege Pleite. Sein Tun wird stets begleitet von dem ohrenbetäubenden Applaus der Öffentlichkeit und des Kanzlers. Sein stetiges, satanisches Grinsen gründet sich nämlich auf der unerschütterlichen Erkenntnis, daß einem jeden, dem das Schicksal ehrlicher Arbeit hierzunieden beschieden ist, die Früchte derselbigen, nämlich sein Lebensgefühl auszudrücken und es sich gut gehen zu lassen, vorenthalten werden. Der Deckel in der Kneipe ist bezahlt. Es ist Punkt zehn Uhr, und die Party geht jetzt richtig los. Aber da geht man freiwillig aus der Kneipe mit seinem Geld und ist zerknirscht bis auf die Knochen, daß um Punkt sieben Uhr wieder die Heimsuchung beginnt, wenn der Ritter Arbeit seinen lauten Wecker erschallen läßt.
Wer das aber nicht kennt, fürchtet sich um so mehr davor!
So wird der dem Gericht Verfallene endlich in die liebevollen Arme von Ritter Krankheit getrieben. Die Magenbeschwerden, der nervöse Husten, Hautausschlag und Krebs sind die vier Furien die dem Ritter Arbeit die Beute abjagen. Sie treiben den braven Bürger dazu, sich den Ritter Arbeit, unter dessen Fittichen man ja sehr gut aufgehoben war, fluchtartig zu verlassen. Das Brummen im Schädel und der fiese Geschmack im Mund, wenn man morgens aufsteht, tun ihr Übriges.
Das nicht zu kennen ist ein schwerer Frevel, und die, die ihn begangen haben fürchten sich um so mehr davor.
Der Delinquent wird nun, da anscheinend alles nichts mehr hilft, an den vierten Kollegen überwiesen. Dabei handelt es sich um den hoch angesehenen und nur viel zu oft von unten betrachteten Baron Ernst Ärger vom Sozialamt. Ein Ritter ohne Furcht und Tadel. Mit seiner blaublütig anmutenden Aufgeblasenheit versteht er es Büßern fromme Sprüche zu spenden und dem braven Bürger den gehörigen Schrecken einzujagen. Es ist eine wahre Augenweide. Wer das nicht kennt, der fürchtet sich davor.
Schrecken der Jahrtausende, was haben wir getan, auf daß wir die Reiter in solch scheußlichen Kostümen sehen müssen?