Günther Grass: Die Karriere eines verstörten Kindes zum Nobelpreisträger
Endlich hat es geklappt. Günther Grass, der schier ewige Kandidat, darf sich nun als das
entpuppen, als was er sich jahrzehntelang aufzuplustern bemüht war: ein dunkler Stern am
Himmel der Nobelpreisgekrönten Literatenzunft. Grund genug einmal nachzuforschen, was
dieser hochdekorierte Sprachkünstler und unergründliche Mensch in seiner Kindheit erlebt
haben muß. Spinner-Bild konnte nun eine Frau ausfindig machen, die Günther Grass in seiner
Kindheit faßt täglich erleben durfte. Hier das exklusive Interview mit der pensionierten,
aber noch sehr rüstigen Einzelhandelskauffrau, Elfriede Lange, die durch ihre Auskünfte
sicherlich zu einem besseren Verständnis des Menschen Günther Grass einen entscheidenden
Beitrag zu leisten vermag.
S.B.: „Frau Lange, wie lernten sie damals Günther Grass kennen?"
Lange: „Ach, Gott, der kleine Günther kam doch fast täglich in meinen Laden, Langes
Kolonialwaren, um sich frisches Gras aus Übersee zu besorgen. Der Junge hat doch so
fürchterlich viel geraucht."
S.B.: „Wie war Günther so als Kind?"
Lange: „Er war sicherlich ein ganz besonderes Kind. Es war schon ein beeindruckender
Anblick, wenn der Kleine eine scheppernde Blechtrommel schlagend und eine bestialisch
stinkende Graspfeife rauchend auf meinen Laden zu marschiert kam. Es kam auch gelegentlich
mal vor, daß asthmatische Passanten, die den dicken Qualmwolken nicht rechtzeitig
ausweichen konnten, einfach umgefallen sind. Einige von ihnen sind nie wieder aufgestanden
und haben ins Gras gebissen. Er war kein ganz einfaches Kind."
S.B.: „War er ein netter Kunde?"
Lange: „Sagen wir mal: Er war nicht unproblematisch. Einerseits war er wegen seiner
regelmäßigen Einkäufe bei mir schon ein guter Kunde. Andererseits hatten andere Kunden
Probleme mit seinem Auftreten im Laden. Die haben nämlich genauso regelmäßig entsetzlich
hustend und keuchend wegen des beißenden Qualms fluchtartig meinen Laden verlassen. Seine
wahnsinnigen, weitaufgerissenen Augen glitzerten vor Gier, wenn er hinter den Rauchschwaden
im Laden sichtbar wurde. „Skunk Riesen, Frau Lange.", sagte er dann mit seiner schrillen
Stimme und hat seine Trommel auf die Theke gestellt. Die habe ich dann mit den größten
Grasblüten vollgepackt. Die erste Pfeife mit frischem Gras hat er sich immer gleich im
Laden gestopft und angezündet. Anschließend ist er wie ein Besessener auf seine
Blechtrommel einschlagend und lauthals Behindertenkinderlieder vor sich hinsingend durch
die Gassen gezogen. Dabei hat er natürlich ständig gequalmt, was das Zeug hielt, wie eine
kleine Lokomotive. Aber eigentlich war er ein niedlicher Knirps. Und welches Kind wünscht
sich etwas sehnlicher als zu lärmen und zu stinken."
S.B.: „Erinnern sie sich vielleicht an ein ganz besonderes Erlebnis mit dem Kleinen?"
Lange: „Oh ja, da gibt es etwas. Einmal hatte ich kein frisches Gras da, und da hat er so
ohrenbetäubend laut geschrien, daß die Schaufensterscheiben des Ladens zersprungen sind,
und ich seitdem einen Hörschaden habe. Ich habe dann versucht ihn zu beruhigen und gemeint,
er könne es doch auch mal mit Hasch probieren, wie die Erwachsenen. Aber daraufhin fing
er wieder an zu schreien: „Nein, kein Hasch, kein Hasch wie die Großen. Ich will Gras,
Gras, Gras!" Irgendwie tat er mir leid, wie er so dastand in seinen kurzen Hosen, bis
ich zunächst nur gerochen aber dann auch gesehen habe, daß er sich vor Aufregung
eingekotet hatte. Da habe ich ihn nach Hause geschickt."
S.B.: „Frau Lange, was sie uns da schildern grenzt doch schon hart an Suchtverhalten."
Lange: „Ja, ja! Ohne sein Gras kam der Günther gar nicht gut zurecht. Er hat ja auch den
Spitznamen Gras-Günther gehabt."
S.B.: „Erstaunt es sie eigentlich, daß der Kleine so eine Karriere gemacht hat?"
Lange: „Ja, durchaus. Und ich bin froh, daß er wenigstens die Trommel an den Nagel
gehängt hat und jetzt nur noch Blech redet und schreibt."
S.B.: „Frau Lange, vielen Dank für dieses Gespräch."