Im Stechschritt durch den Dschungel

Das ist eine wirkliche Sensation auf dem Gebiet der Ethnologie. Was der belgische Ethnologe und Kryptozoologe, Baldur Böttmeyer entdeckte, sorgt nicht nur in seiner Zunft für helle Aufregung. Der Forscher fand auf der indonesischen Insel Borneo die wahrscheinlich letzte Population von reinrassigen Preußen. Spinner-Bild gelang es, mit dem scheuen Forscher ein Interview zu arrangieren, welches wir im vollen Wortlaut wiedergeben:
S.B.: „Herr Böttmeyer, was war der ursprüngliche Grund für ihre abenteuerliche Expedition in den entlegensten Dschungel von Borneo? Sie haben sich doch sicherlich nicht aufgemacht, die letzten Preußen zu entdecken!”
Böttmeyer: „Natürlich nicht. Genau sowenig, wie sich seinerzeit Alexander Flemming daran gemacht hat, das Penizillin zu entdecken. Ich war eigentlich unterwegs, um das ausgestorben geglaubte Säbelzahnfaultier ausfindig zu machen. Wie sie vielleicht wissen, ist die Existenz dieser Spezies in der etablierten Fachwelt umstritten. Dieser betrüblichen Tatsache Abhilfe zu schaffen, war mein Ziel.”
S.B.: „Wie verlief ihre erste Begegnung mit einem Exemplar der Preußen?”
Böttmeyer: „Ich bahnte mir mit meiner Machete sorglos einen Pfad durch den dichten Urwald. Plötzlich knallte meine Machete auf etwas Hartes, es gab einen scheppernden Ton. Ich schaute erschrocken, und da stand ein nacktes, hominides Wesen vor mir. Das heißt, bei genauerem Hinsehen erwies es sich als nicht vollständig nackt. Es war nur mit Knobelbechern und einer Pickelhaube bekleidet. Da dachte ich gleich: Das darf doch nicht war sein. Hier steht ein leibhaftiger Preuße vor mir! Die gelten doch schon lange als ausgestorben. Und ich hätte dieses Exemplar von unschätzbarem wissenschaftlichen Wert fast umgebracht! Nur seine Pickelhaube hat ihn vor dem ansonsten sicheren Tod bewahrt. Das Erschrecken schien beiderseitig zu sein, denn das scheue Wesen machte, ohne mit der Wimper zu zucken, auf den Stiefelabsätzen kehrt und floh in den Urwald. Dabei wirkten seine Bewegungen allerdings seltsam kantig, ohne jede Geschmeidigkeit, so daß er schon nach wenigen Metern auf der Nase lag. Er rappelte sich jedoch erstaunlich schnell wieder hoch und ging seiner Wege. Danach brauchte ich erst einmal einige Minuten, um meine Fassung wiederzufinden.”
S.B.: „Wie viele Preußen leben in dem entlegenen Tal?”
Böttmeyer: „Nach meiner Zählung handelt es sich um etwa 30 Exemplare. Das Zählen ist nicht ganz einfach, denn sie sind nur schwer zu unterscheiden. Alle sind ca. 190 cm groß und von gleicher, drahtiger Gestalt. Da kann man schon mal durcheinander kommen.”
S.B.: „Wie ist es möglich, daß diese Spezies unter derartigen, scheinbar überhaupt nicht artgerechten Umständen überleben konnte?”
Böttmeyer: „Sie stellen genau die richtige Frage. Natürlich war auch mir das zunächst ein Rätsel. Als ich dann die Lösung erfuhr, dachte ich bei mir als Erstes an eine Pilzvergiftung. Sie müssen wissen, auf meinen Expeditionen ernähre ich mich immer von den einheimischen Waldfrüchten. Das hält nach meinen Erfahrungen immer am besten fit, birgt allerdings gewisse Risiken. Wie dem auch sei, jedenfalls handelte es sich nicht um Haluzinationen, als ich bemerkte, daß die Orang-Utans es waren, die die Preußen versorgten. Sie wurden von den Affen mit geradezu liebevoller Aufmerksamkeit gefüttert und verpflegt. Sie speisten sie mit den erlesensten Früchten, die der Dschungel bot. Für sich allein waren die Preußen natürlich völlig hilflos. Sie führten quasi ein Leben wie Gott in Königsberg. Täglich wurden sie von den Orang-Utans gewaschen und die leider nicht seltenen Wunden fachgerecht verarztet. Die geradezu mütterliche Fürsorge tat den Preußen sichtlich gut und hielt sie bei bester Gesundheit. Auch die Bartpflege, die sie den possierlichen Kerlen angedeihen ließen, war einfach vorbildlich, so daß jeder von ihnen als Double von Kaiser Wilhelm dem II. hätte durchgehen können.”
S.B.: „Aber was motivierte die Affen, sich mit den artfremden Wesen solch eine Mühe zu geben?”
Böttmeyer: „Die Antwort ist so einfach wie überraschend. Jeden Tag um Punkt zwölf Uhr machten die Preußen sich auf, eine exakte Formation zu bilden und sich im Stechschritt einen Pfad durch das Unterholz des Dschungels zu bahnen. Genauso pünktlich versammelten sich die Orang-Utans auf den umliegenden Bäumen, um diesem Spektakel zuzusehen. Wie sie sich vorstellen können, ging dieses Exerzieren nicht lange ohne Pannen vor sich. Schon nach wenigstens einer halben Minute verhedderte sich einer im Gestrüpp und schlug lang hin. Daraufhin fingen die Affen an, dermaßen zu lachen, daß sie sich ihre Bäuche halten mußten, und manche auch vom Baum gefallen sind, weil sie sich nicht länger am Ast halten konnten. Gelegentlich foppten sie die Preußen, indem sie einem der drolligen Burschen die Pickelhaube vom Kopf pflückten, der dann völlig verdutzt stehen blieb und die hinter ihm marschierende Reihe zu Fall brachte, wobei der Betroffene sich naturgemäß auch einen Tritt in den Allerwertesten einhandelte. Das Gelächter, das dann durch den Urwald schallte, war so laut, daß selbst die für ihr Phlegma bekannten Säbelzahnfaultiere verdutzt geguckt haben mögen. Mit anderen Worten: Die Affen verfügen über ein gesegnetes Maß an Humor, was sie unter anderem dadurch unter Beweis stellen, daß sie die nach dem königlichen Schauspiel geschundenen Preußen wieder so aufpäppeln, daß sie für die nächste Vorstellung gerüstet sind. Den Preußen geht es gut, und die Affen haben etwas zu lachen. Es handelt sich um eine perfekte Symbiose. Man muß daher beide Spezies unter Artenschutz stellen, um dieses einzigartige Zusammenspiel von Hominiden und Primaten zu bewahren, da sich in unserer zerschundenen Welt kaum noch ein weiteres Beispiel von derart heiterer Harmonie finden lassen wird.”
S.B.: „Konnten sie mit einem der Preußen sprechen, oder war es vielleicht möglich mit den Orang-Utans verbale Kommunikation aufzunehmen?”
Böttmeyer: „Nein, leider nicht. Die Preußen haben das Sprechen im Laufe der Zeit verlernt. Die Lautäußerungen, die sie von sich geben, sind nur noch schwerlich und allenfalls noch rudimentär als verbal zu erkennen. Mit einem kargen Repertoire von Kommandos wie , und sind sie allerdings in der Lage sich untereinander zu verständigen. Die Orang-Utans ziehen es vor zu schweigen, obwohl sie durchaus miteinander reden könnten, aber sie befürchten, daß die Menschen sie zum Arbeiten zwingen würden, wenn diese sie sprechen hören. Das zeugt von ihrer hohen, wenn auch daher weitgehend unerkannten Intelligenz.”
S.B.: „Eine letzte Frage, was halten sie von einer öffentlichen Präsentation der Preußen?”
Böttmeyer: „Gar nichts! Die öffentliche Zurschaustellung auf Völkerschauen, auf Jahrmärkten und die Entsendung von - zwar nicht ganz reinrassigen - Preußen nach Afghanistan als sogenannte Schutztruppen kann ich nur als gegen das Artenschutzgesetz verstoßend verurteilen.”
S.B.: „Vielen Dank, Herr Böttmeyer.”